Umfrage zur Waidgerechtigkeit 3.0

Ein Infanterist: Wäre ein Schuss jetzt waidgerecht?

Die Weidgerechtigkeit des Schusses auf den laufenden Fasan oder den Hasen in der Sasse ist eine beliebte Frage in der Jägerprüfung. Die hier erwartete Antwort ist meist „nein“. Doch in der jagdrechtlichen Literatur wird auch die gegenteilige Meinung vertreten. Was ist nun richtig?

Um sich der Frage aus juristischer Sicht zu nähern, muss man als Erstes das Gesetz zu Rate ziehen. Dort heißt es in § 1 Absatz 3 des Bundesjagdgesetzes („BJagdG“): „Bei der Ausübung der Jagd sind die allgemein anerkannten Grundsätze deutscher Weidgerechtigkeit zu beachten.“ Die einzige gesetzliche Definition des Begriffs Weidgerechtigkeit findet sich im Landesjagdgesetz von Baden-Württemberg: „Waidgerechtigkeit ist die gute fachliche Praxis der Jagdausübung. Eine Jagdausübung ist nur waidgerecht, wenn sie allen rechtlichen Vorgaben sowie allen allgemein anerkannten, geschriebenen oder ungeschriebenen Regelungen und gesellschaftlichen Normen zur Jagd […] entspricht.“ (Die Schreibweise von Weidgerechtigkeit mit „ei“ bzw. „ai“ ist in den verschiedenen Jagdgesetzen durchaus unterschiedlich.). Dies deckt sich mit der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der jagdrechtlichen Literatur, so dass diese Definition auch für alle anderen Bundesländer als verbindlich angesehen werden kann.

Die geschriebenen Regeln der Jagd, also z.B. die sachlichen Verbote (§ 19 BJagdG), das Elternschutzgebot (§ 22 Absatz 4 BJagdG) oder die Nachsuchepflicht (§ 22a BJagdG), helfen im Falle des Schusses auf den Fasan (während seiner Jagdzeit) nicht weiter. Wie findet man aber nun heraus, ob es hierzu ungeschriebene Regeln gibt?

Dazu muss man zunächst wieder in den vorgenannten Passus des BJagdG einsteigen, wo die Rede von den „allgemein anerkannten Grundsätzen“ deutscher Weidgerechtigkeit ist. Unter Grundsätzen sind nicht etwa konkrete Verhaltensregeln zu verstehen, sondern vielmehr allgemeine Richtlinien, aus welchen diese Verhaltensregeln abgeleitet werden können. Um den unbestimmten Rechtsbegriff der Weidgerechtigkeit einzugrenzen, ist also ein zweistufiger Prozess erforderlich: zunächst müssen die allgemein anerkannten Grundsätze identifiziert (und ggfs. gewichtet) werden, und anschließend sind diese so zu konkretisieren, dass sie eine klare Vorgabe für weidgerechtes Verhalten ergeben. 

Auch hier die Frage: Ist ein sicherer Schuss waidgerecht oder nicht? Tierschutz oder Fairness?

Die allgemeine Anerkennung erhalten die Grundsätze durch die Jägerschaft selbst. Sie manifestiert sich vor allem in den Veröffentlichungen der Jagdverbände und in der Fachliteratur. So führt etwa der Deutsche Jagdverband in seinem Grundsatzpapier zur Weidgerechtigkeit als die wesentlichen Grundsätze der Weidgerechtigkeit den Tierschutz (Vermeidung unnötiger Qualen), den Umweltschutz und die Rücksichtnahme auf die jagende und die nicht-jagende Bevölkerung auf. Die jagdrechtliche Literatur nennt als weitere Grundsätze den Natur- und Artenschutz, das Gebot, dem Wild „ein Maximum an Chancen“ zu lassen sowie die Grundsätze der „Ritterlichkeit“ und der „Fairness“.

Wer den Schuss auf den laufenden Fasan nicht für weidgerecht hält, wird dies vor allem damit begründen, dass dem Wild ein Maximum an Chancen gelassen werden müsse und der Schuss nur auf den fliegenden Fasan „fair“ sei. Heute finden sich in der jagdrechtlichen Literatur jedoch auch zunehmend Stimmen, die den Tierschutzgedanken höher gewichten und den Schuss auf den laufenden Fasan wegen seiner größeren Trefferwahrscheinlichkeit als weidgerecht ansehen.

Dieses Beispiel zeigt zum einen, wie man den Weg zu den ungeschriebenen Regeln der Weidgerechtigkeit findet. Zum anderen macht es deutlich, dass man zu Fragen der Weidgerechtigkeit durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, und dass die Auffassungen von Weidgerechtigkeit einem zeitlichen Wandel unterliegen. So ist es wohl keine fernliegende Annahme, dass der Gedanke des Tierschutzes in Zukunft ein immer größeres Gewicht vor Maximen wie „Ritterlichkeit“ und „Fairness“ bekommen wird.

Abschließend eine Bitte: am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien wird aktuell eine wissenschaftliche Studie zu den „allgemein anerkannten Grundsätzen deutscher Weidgerechtigkeit“ erstellt. Teil dieser Studie ist eine Umfrage zum Thema Weidgerechtigkeit, die von Dr. Thomas Paul unter der deutschsprachigen Jägerschaft durchgeführt wird. Teilnahmeschluss ist der 30. Juni 2021.

Unter den Teilnehmern an der Befragung werden 5 Einkaufsgutscheine für Jagdartikel im Wert von je € 100 ausgelost. Die geschätzte Zeit für die Beantwortung der Fragen beträgt 12–15 Minuten. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse veröffentlichen wir im Juni 2021 hier auf dem Waidgerechte Jagd Blog. Nach Abschluss der gesamten Studie, voraussichtlich im 4. Quartal 2022, kann diese von der Homepage des o.g. Instituts (www.jagdwirt.at) aus dem Bereich Abschlussarbeiten heruntergeladen werden. Sie müssen sich diesen Termin jedoch nicht in Ihren Kalender schreiben – wir halten Sie auf dem Laufenden.

2 Comments

  1. Wiedmann Walter sagt:

    weidgerechtigkeit macht Sinn, weil Jagd nicht nur töten von Wild ist sondern auch eine Erinnerung an ein Erlebnis. Wenn dieses gute Gefühl nicht mehr vorhanden ist, kann ja auch eine Bache vor den Frischlingen erlegt werden. Es geht mir bei der Jagdausübung um mehr als nur eine Notwendigkeit.

  2. Florian Ortanderl sagt:

    Über diese Formulierung „dem Wild ein Maximum an Chancen zu lassen“ bin ich doch etwas verwundert – ich hatte zuerst angenommen, dass dies in der Umfrage bewusst übertrieben formuliert war, aber anscheinend wird dieser Grundsatz in nicht genauer benannter jagdrechtlicher Literatur vertreten. Soweit ich mich erinnern kann, war in meiner jagdlichen Ausbildung von einer „fairen Chance“ die Rede – was zwar vage ist, aber intuitiv sinnvoller erscheint. Ohne Kontext erscheint es, als müsste man um das Maximum an Chancen zu realisieren schon daheim auf der Couch bleiben. Diese damit einhergehenden Ansätze von Ritterlichkeit und Sportsmanship, bei denen der Schwierigkeitsgrad des Schusses als positiver Maßstab für richtiges Handeln verwendet werden, finde ich problematisch und nicht mehr zeitgemäß. Mit der Chance unbeschadet zu entkommen, steigt für das Wild auch die Chance lediglich schlecht getroffen zu werden. Die persönlichen Standards, was als guter Stil und angemessene Herausforderung an die eigene Schützenleistung empfunden wird, sollte nicht mit ethischen Fragestellungen vermengt werden. Deswegen bin ich auch froh zu lesen, dass die Entwicklung des allgemeinen Verständnisses von Waidgerechtigkeit dem Tierschutz hier höheres Gewicht einräumt.

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