Jagende Geistliche – Waidmannsheil, Herr Pfarrer!
Aus Romanen kennen wir das Bild des jagenden Gottesdieners, zum Beispiel in Conrad F. Meyers Novelle „Der Schuss von der Kanzel“. Doch wie ist es im wahren Leben? Pastor Rolf Adler (ev.) und Domvikar Rainer Schinko (röm.-kath.) erläutern, wie sie als Männer in Talar und Loden das Spannungsfeld zwischen Passion und Töten meistern. Die Fragen stellte Hartmut Syskowski von der Zeitschrift PIRSCH.
Die unvermeidliche Frage – wie fanden Sie zur Jagd?
Rainer Schinko: Mein Vater ist passionierter Jäger, und meine frühesten Erinnerungen haben mit der Jagd zu tun. Ich habe als Kind und Jugendlicher beim Bau von Reviereinrichtungen geholfen, bin bei Treibjagden dabei gewesen, habe beim Entenstrich angespannt auf das Einfallen der Stockenten gewartet oder beim Ansitz das Verhalten des Wildes beobachten können. Im Winter brachte ich nach der Schule täglich einige Bisamratten aus den von mir gestellten Fallen heim. Noch vor den Hausaufgaben balgte ich sie ab.
Rolf Adler: Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen. Irgendwann machte ein Freund den Jagdschein, ich dann ein Jahr später. Auf meiner ersten Pfarrstelle im Wendland gaben mir ein wohlgesonnener Forstamtsleiter und ein befreundeter Förster Gelegenheit. Auf welche Wildart ich jage, ist nachrangig. Mir ist wichtig, dass sich mein Jagen mit schöpfungsethischen Attributen wie „beziehungsvoll“ und „sinnvoll“ in Verbindung bringen lässt.
„Beziehungsvoll“ und „sinnvoll“ bedeuten dabei …?
Rolf Adler: Beziehungsvoll meint, dass wir im Mitgeschöpf nicht nur Schädling und Nützling erkennen, sondern Leben, das ein Heimatrecht in der Schöpfung hat. Nicht der Mensch entscheidet, wie die tragenden Bedingungen des Lebens sind. Hier muss Weisheit walten! Nur eine Jagd, die sich solche Wahrnehmung bewahrt, erfahre ich als sinnvoll. Alles andere ist pure Fleischbeschaffung und Schädlingsbekämpfung.
Nehmen Sie schon mal Verwandte und Nachbarn auf den Ansitz mit?
Rainer Schinko: Außer meinem Vater stellt meine Verwandtschaft jagdlich gesehen einen Totalausfall dar. Meine beiden Neffen sind zwar noch zu klein, aber es blitzt doch etwas Hoffnung auf. Ich nehme sie schon mal mit raus und schenke kindgerechte Naturliteratur, in die wir uns dann vertiefen.
Rolf Adler: Als Kinder waren meine Tochter und mein Sohn häufiger mit dabei. Mein Sohn ist inzwischen selbst Jäger. Jagd funktioniert am besten, wenn die ganze Familie mitzieht. Auch ein Jagdhund als zusätzlicher Hausgenosse muss nicht zuletzt willkommen sein.
Essen Sie oft Wildbret? Laden Sie Freunde dazu ein?
Rainer Schinko: Da ich ganz selten selber zum Kochen komme, wird der Internatsküche für besondere Gelegenheiten Wildbret geliefert. Da kann ich meine Küchen-Mitarbeiterinnen nur loben! Hin und wieder gebe ich Wildbret an Bekannte und Kollegen, was auch dem Austausch von Rezepten dient.
Rolf Adler: Beim Fleischkonsum setzen wir weitgehend auf „Selbstversorgung“ mit Wild. Nach einem gemeinsamen Wildkochkurs freuen sich meine Frau und ich über gelungene Köstlichkeiten. Auch profitieren Gäste und Freunde davon. Sie interessieren sich für Geschichten, die zum servierten Fleisch gehören. Die verschämte Schlachtkultur unserer an sich fleischaffinen Gesellschaft ist kein kultureller Gewinn, sondern eine große Täuschung.
Wie erklären Sie anderen Christen Ihre Jagdpassion? Und Fremden, die z.B. auf einer Geburtstagsfeier zufällig von Ihrer „Doppelrolle“ erfahren?
Rolf Adler: Ich war 16 Jahre lang Gemeindepfarrer, bevor ich in der Landeskirche andere Dienste übernahm. Ich habe es nicht erlebt, dass man mich angefeindet hätte. Wir haben in der Gemeinde regelmäßig Hubertusgottesdienste gefeiert. Gäbe es allerdings einen stichhaltigen theologischen Einwand gegen die Jagd, würde ich nicht mehr jagen. Moderne Menschen erwarten gerade im Hinblick auf die Jagd eine sprachfähige, geklärte Verantwortungskultur. Formaljuristische Standardargumente (Tradition, Eigentum) oder provokative Thesen zu unausrottbarem Triebverhalten führen zu nichts. Die strittige Frage, ob man wildlebende Tiere töten darf, will anspruchsvoll bejaht oder verneint werden.
Rainer Schinko: Ich nehme zwar an, dass es Leute gibt, die das für unpassend halten, aber das hat mir noch niemand gesagt. Freilich gibt es da Nachfragen, gerade nach Hubertusmessen, wo schon deutlich herauskommt, dass ich unter dem Messgewand noch einen grünen Rock trage. Im städtischen Umfeld haben viele Leute Ressentiments gegen die Jagd. Ich versuche, dort die natürlichen Zusammenhänge ins rechte Licht zu rücken, fühle mich aber oft recht hilflos. Es gibt andererseits viel Anerkennung, spricht sich bei einer Treib- oder Drückjagd plötzlich herum, dass „der da“ ein Pfarrer sein soll. Dass ein katholischer Geistlicher „ganz normal“ mitjagt, tut offenbar dem Image der Kirche ganz gut.
Was entgegnen Sie Jagdkritikern, die die alttestamentarische Weisung „Machet Euch die Erde untertan“ als Freibrief zur Ausbeutung der Schöpfung umdeuten?
Rainer Schinko: Die Erde untertan machen hat nichts mit Erobern, Ausbeuten oder Zerstören zu tun. Das wäre im alttestamentlichen Sprachgebrauch unvorstellbar. Ganz im Gegenteil: Hier wird der Auftrag gegeben, sich von der Erde zu ernähren. Damit unzertrennlich ist der Auftrag verbunden, diese Lebensgrundlage zu pflegen und zu erhalten – für alle nachfolgenden Generationen.
Rolf Adler: Wir wissen heute aufgrund der Bibelforschung, dass hinter dem Herrschaftsauftrag ein Königsbild steht, das auf Verantwortung und Fürsorge zielt. Der Mensch soll sein Schöpfungsmandat für das Gesamtgefüge wahrnehmen. Das Mandat hat nicht Zügellosigkeit vor Augen. Dieses Mandat wird niemals erfüllt, wo Menschen die Mitwelt an den Rand der Auslöschung treiben. Das bornierte Eigeninteresse des Menschen ist das Gegenteil biblischer Schöpfungsverantwortung.
Sie werden in puncto Jagd wohl immer wieder mit dem 5. Gebot „Du sollst nicht töten!“ konfrontiert …
Rolf Adler: Das 5. Gebot bezieht sich auf eine gemeinschaftswidrige und heimtückische Art des Tötens. Das nennt die Bibel Mord. Wer gemeinschaftswidrig und heimtückisch jagt, gerät in den Bannbereich des Tötungsverbots. Die Bibel verliert sich aber nicht in Friedensideologien gegen Gattungskonkurrenz. Leben lebt auf Kosten anderen Lebens. Geschöpfliches Leben ist seiner eigenen Perfektionierung gegen die Grundverhältnisse entzogen. Die Jagd steht wie jedes andere menschliche Handeln unter dem Vorbehalt, sich selbst gegenüber kritisch zu bleiben.
Rainer Schinko: Schade, dass die Jagd bei vielen Menschen oft nur auf das Töten von Tieren reduziert wird. Es ist sehr wichtig, dass man der Bevölkerung die vielfältigen Facetten der Jagd ins Bewusstsein bringt – das ganz intensive Erleben der Natur im Wechsel der Jahreszeiten, das Beobachten und Hegen des Wildes, Kameradschaft zu pflegen, in der Natur tätig zu sein, den Glauben zur Sprache zu bringen und das Beutemachen.
Was aber würden Sie einem Jagdscheininhaber sagen, der gerne DVDs schaut, bei denen zum Beispiel Antilopen in der Steppe „quasi im Minutentakt“ geschossen werden?
Rolf Adler: Diese DVDs bedienen das moderne Bedürfnis nach Erlebnis-Verdichtung, die eine verantwortungsvolle Jagd nicht zu bieten hat. Künstliche Takte überlagern hier natürliche Rhythmen.
Wer Sterben im Zeittakt erleben will, ist ein Voyeur des Tötens, aber kein Jäger. Waidgerechte Erlebnis-Dichte stellt sich nicht durch geraffte Abschuss-Sequenzen ein, sondern durch geschulte und gereifte Erlebnis- und Resonanzfähigkeit. Hier haben wir in die Ausbildung der Jagdscheinanwärter zu investieren – welche Zeit- und Erlebniserwartung vermitteln wir eigentlich, wenn wir meinen, man könne es in 14 Tagen vom Nichtsweiß zum erlebnisfähigen Jäger bringen.
Rainer Schinko: Das Betrachten von Jagdszenen, die nur im Erlegen des Wildes bestehen, ist sicher eine Frage des Geschmacks. Deswegen muss der Betrachter nicht gleich zum Schießer werden, der auf alles ballert, was ihm vor die Flinte kommt. Auch nicht jeder, der häufig Actionfilme ansieht, wird gleich zum Rambo.
Ist Ihnen schon mal aus Versehen ein Fehlabschuss unterlaufen? Wie sind Sie damit ins Reine gekommen?
Rainer Schinko: Wer jagt und behauptet, noch nie einen Fehler gemacht oder ein Stück angeschweißt zu haben, hat einen ausgeprägten Verdrängungsmechanismus oder noch nie Wild erlegt. Selbst wenn man vorsichtig ist, passieren Fehleinschätzungen. Darum kann ich nicht verstehen, wie Betroffene noch von Mitjägern heruntergemacht werden. Da sollte Bescheidenheit walten, Mitgefühl gezeigt werden! Dem Betroffenen ist ohnehin hundeelend zu Mute, zumindest mir geht es dann so. Einzelne negative Erlebnisse tragen durchaus dazu bei, dass man seine Verantwortung gegenüber dem Mitgeschöpf nicht vergisst. Als Jäger haben wir eine hohe Verantwortung, nicht nur dem Geschöpf, sondern auch dem Schöpfer gegenüber.
Rolf Adler: Ich bin in diesem Jahr genau 41 Jahre Jäger. Ich könnte eine Reihe von Fehlabschüssen aufzählen. Mit echten Irrtümern komme ich gut zurecht. Ich werde niemals ein Mensch sein, dem keine Fehler unterlaufen. Muss ich mir allerdings sagen lassen, dass ich zu leichtsinnig gehandelt habe, wirkt das im Gewissen lange nach.
Herr Domvikar Schinko, St.-Hubertus-Messen werden nicht mehr nur am Namenstag abgehalten, sondern bei Wildwochen oder jagdlichen Verkaufsmessen. Verwässert das den Glaubensbezug?
Rainer Schinko: Nein. Ich habe früher jährlich mehrere Hubertusmessen gefeiert, z.B. als Auftakt zum Hegeringtreffen, anlässlich einer Schifffahrt mit Wild-Essen und am Namenstag unseres Schutzpatrons. Selbst bei einer Verkaufsmesse könnte ich mir das vorstellen. Zu Hubertusmessen kommen nicht nur diejenigen, die ohnehin regelmäßige Kirchgänger sind, sondern auch raubeinige Nimrode, denen die „Kirche im Wald“ sonst vollauf genügt. Und es kommen viele Nichtjäger (!) – das bietet die Gelegenheit, Jagen mit dem Glauben in Verbindung zu bringen.
Herr Pastor Adler, die von Ihnen betriebene Internetseite www.sankt-hubertus.de gibt viele Anregungen. Ein Zitat: „Hubertusgottesdienste sind keine Selbstbeweihräucherung der Jäger/ -innen. Sie konfrontieren mit Schöpfungsverantwortung.“ Was aber sind Ihre Aufgaben als kirchlicher Umweltbeauftragter? Welches Gewicht können Sie dem Jagdwesen dabei einräumen?
Rolf Adler: Ich habe den Auftrag, Schöpfungsverantwortung aus biblisch-theologischer Sicht zu kommunizieren. Da geht es um Stromtrassenführungen, Windkraftwerksbau, Atommüll-Lagerung ebenso wie um Nutztierhaltung, Waldbau usw. Im Kern steht eine biblisch-theologische Auseinandersetzung mit den Totalitätstendenzen moderner Zivilisation. Gerade die Jagd kann ein schöpfungsbewusstes Handwerk gegen Totalitätstendenzen im Umgang mit der Natur sein. Wo es gilt, Lebensrechte und Lebensräume wildlebender Tiere gegen Nutzungsansprüche des Menschen zu verteidigen, sind Jägerinnen und Jäger zu klaren Positionen aufgerufen. Wir Menschen müssen erkenntnisfähiger werden, dass Leben nicht auf synthetisch ausgeklügelten gesellschaftlichen Selbstentwürfen beruht, sondern Schöpfung ist. Niemand verdankt sich sich selbst – alles ist ins Leben gerufen.
„… und führe uns nicht in Versuchung“ – also keinerlei Nachtsichtzielgeräte auf der Jagd?
Rainer Schinko: Auf der einen Seite habe ich erlebt, wie bei einem Jagdpächter innerhalb einer Woche die Wildschäden durch Sauen in die Tausende gegangen sind, auf der anderen Seite stelle ich mir die Frage, wo denn die technische Hochrüstung aufhört. Ist das noch Jagd, wie ich sie als Kind erlebt habe und eigentlich weiter so ausüben will? Trotz aller Technik, die vielleicht noch legal kommen wird, wird es letztlich vom einzelnen Jäger abhängen, ob und vor allem wie er sie einsetzt. Jagdliche Ethik und persönliche Verantwortung gehen da Hand in Hand.
Rolf Adler: Ressentiments gegen technische Veränderungen führen nicht zum Kern der Frage. Das Gewehr ist auch etwas anderes, als Speer und Pfeil es waren. Kriterium für waidgerechtes Jagen sind nicht Effektivität oder gar Effizienz, sondern Beziehung. Dazu gehört auch ein Gefühl dafür, dass die Nacht mehr ist als ein technisch zu überwindender Lichtmangel. Der Wechsel von Sonne und Mond, Licht und Finsternis und der Jahreszeiten sind Schöpfungsintervalle, also zu respektierende grundständige Prozesse im Schöpfungsgefüge. Die Dunkelheit als Refugium durch Technik zu zerstören, behagt mir gar nicht.
„Wald vor Wild“, „Wolf hui, Rotwild pfui“ – eine Doppelmoral?
Rolf Adler: Das Verhältnis „Wald und Wild“ läuft für mich da aus dem Ruder, wo wir wildlebenden Huftieren vor dem Hintergrund ökonomischer Strategien das Existenzrecht streitig machen. Ob ich Rebhuhn-Besätze schwäche, weil ich auf meinen Kulturen Beikräuter nicht dulde oder Rotwild zu unerwünschten Kreaturen erkläre, weil sie mein Nutzenkalkül beeinflussen, mündet für mich in die Frage, was sich der Mensch gegenüber der Schöpfung herausnehmen darf. Für die Bibel ist das Tier ein Mitgeschöpf mit eigenen Rechten. Dies gilt es zu achten. Der Umgang mit dem Wolf ist für mich ein Prüfstein für unsere Fähigkeiten im Umgang mit Wildnis. Der Wolf steht außerhalb der modernen Kulturstrategie des Menschen. Seine Rückkehr zwingt uns zur Spektrumserweiterung. Wir sollten Angstreaktionen nicht unter den Tisch kehren; der Mensch bleibt ein Stück Natur mit instinktiven Anteilen. Allerdings bin ich gegen jede Form der Heiligenverehrung im Tierreich.
Rainer Schinko: Der vielzitierte Grundsatz „Wald vor Wild“ ist schöpfungsethisch nicht haltbar, sondern eindeutig gewinnmaximierenden Interessen geschuldet. Wie ein angemessenes Gleichgewicht aussehen muss, darüber kann diskutiert werden. Dass Schalenwild heute teilweise wie Ungeziefer bekämpft wird, hat mit verantwortungsvoller Jagd und mit dem Erhalt eines artgerechten Wildbestands überhaupt nichts mehr zu tun. Das gleicht eher einem Vernichtungsfeldzug. Auf der anderen Seite kann man sich des Gefühls nicht erwehren, Wolf und Luchs sind in bestimmten Kreisen nur willkommen, weil sie das braune „Schadwild“ noch weiter dezimieren und selber keine Bäume fegen oder schälen. Ich frage mich, ob Wolf und Bär in einer bis in die letzte Ecke intensiv genutzte Kulturlandschaft mit teils unheimlich hohem Freizeitdruck wirklich einen geeigneten Lebensraum finden können oder nur der Selbstverwirklichung einiger städtisch lebender Ideologen dienen.
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Laufato si. „Das Verhalten gegenüber unseren Mitgeschöpfen hat unmittelbare Auswirkungen
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EKD Text 133 Nutztier und Mitgeschöpf
Es gibt eine untrennbare Verbindung zwischen der Liebe zum nächsten, zum Mitgeschöpf und zur materiellen Umwelt.
Bundespräsident Theodor Heuss
Die Jagd ist eine Nebenform menschlicher Geisteskrankheit