Die Faszination des Unberechenbaren
Hätten Jäger soviel Freude an der Jagd, wenn sich alles im Voraus berechnen ließe? Mit Sicherheit nicht. Und das trotz aller Überlegungen vor einem Gang ins Revier, in dem ausgelotet wird, wie man am besten erfolgreich sein kann. Entweder als Selbstgespräch oder im Palaver mit Mitjägern. Am ausführlichsten geraten solche Strategiebesprechungen bei der Vorbereitung von Drückjagden: „Letztes Mal kamen die Sauen zu weit, wir müssen mit dem Drückjagdbock näher an den Wechsel. Der Stand am Wasserloch bringt seit Jahren nichts, wollen wir den nicht woanders platzieren? Lohnt es sich, diesmal den Rückwechsel zu besetzen?“ Ob die grüne „Schlachtplan“ aufgeht, weiß man allerdings immer erst hinterher.
Technik bestimmt heute unser tägliches Leben
In unserer technisierten Welt sind wir es gewöhnt, dass sich viele Vorgänge berechnen, also mit Sicherheit bestimmen lassen. Wir lassen Raumschiffe auf den Meter genau auf dem Mond landen, moderne Autos bremsen von allein bei zu geringem Abstand oder fahren sogar selbstständig, Navis lotsen uns sicher zu unserem gewählten Ziel. Oder sei es nur die Waschmaschine, die uns präzise vorhersagt, wann das Programm durchgelaufen sein wird. Die meisten Menschen mögen diesen technischen Komfort. Er erleichtert den Alltag und verschafft häufig einen Sicherheitsgewinn. Aber es macht auch abhängig. Und bei einer Fehlfunktion muss meistens fachmännische Hilfe gerufen werden.
Für den jagdlichen Erfolg gibt es keine Garantie
Auch die Jagd ist technischer geworden. Nach Kimme und Korn zum Beispiel kam das Zielfernrohr, und heute Nachtsicht und Wärmebild. Die mondlose Nacht ist kein absoluter Schutz mehr fürs Wild. Das Wild hingegen ist das geblieben, was es immer war – ein feinsinniges und aufmerksames ungezähmtes Tier in Wald und Flur. Mit Abfährten, oder moderner mit Wildkameras, versuchen wir seine Wege zu erkunden und ihm „auf die Schliche zu kommen“. Eine gute Voraussetzung für jagdlichen Erfolg, aber beileibe keine Garantie. Und da sind wir wieder bei der Unwägbarkeit, die Jagd stets auch bisschen zu einem Glücksspiel macht.
Anstrengung macht die Jagd erst wertvoll
Jäger fühlen sich am wohlsten, wenn sie das Gefühl haben, ihre Beute verdient zu haben. Wenn sie also erhebliche Anstrengungen unternommen haben, bis sich der Erfolg einstellte. Fünf Minuten auf dem Hochsitz, Bock tritt auf 60 Meter aus, schon fällt der Schuss. Ein schöner Erfolg, aber für die meisten Weidmänner nicht wirklich befriedigend. Der alte Bock, der bei 15 Ansitzen nur zwei Mal kurz zu sehen war und auf die Blattlaute angeschlichen kam, erfreut die Jägerseele mehr. Deshalb ist zum Beispiel auch die Gebirgsjagd mit langen anstrengenden Märschen für engagierte Weidmänner eine willkommene Erfüllung. Und ebenso wenig Zuspruch findet dagegen die Jagd im Gatter oder gar zutrauliches Wild.
Ein Gegenstück zur durchorganisierten Welt
Es mag ja auch mit ein Grund sein, dass (durchaus überraschend) die Jägerzahlen kontinuierlich zunehmen, obwohl die Jagd in der modernen Zeit sich sehr viel Ablehnung gegenübersieht. Natürlich zählt zunächst für die meisten Jagdschein-Aspiranten die Freude an der aktiven Auseinandersetzung mit der Natur. Aber eben auch das Element des Unberechenbaren sehen viele als Ausgleich in unserer streng durchorganisierten Gesellschaft der heutigen Zeit an. Jäger setzen zwar auch hochmoderne Technik ein. Doch das Herankommen an das Wild, um eventuell Beute zu machen, lässt sich nach wie vor nicht komplett bestimmen oder ausrechnen. Genau das macht aber die Spannung aus, die so viele Jünger des Waidwerks in ihren Bann schlägt. Die Faszination des Unberechenbaren – es bleibt zu hoffen, dass sie nie verlorengeht.